Altersarmut
Das Thema Altersarmut lässt sich an dieser Stelle nur anreißen, da es zu vielfältig ist, um es hier ausführlich zu beschreiben. Wer sich zur Altersarmut umfangreicher informieren möchte, wird über die die einschlägigen Suchmaschinen im Internet hinreichend und umfangreich informiert.
Leider ist Altersarmut harte Kost, wenn man sich damit auseinandersetzt. Dennoch liegt es uns am Herzen darüber zu berichten, da wir mit AntiRost in den städtischen Gremien zur Linderung der Altersarmut vertreten sind. Herangezogene Zitate sind gekennzeichnet und kursiv gedruckt.
Auf den folgenden Seiten will ich versuchen, das Thema etwas greifbarer zu machen und damit den Übergang zum Steuerungskreis „Altersarmut“ im Sozialdezernat zu schaffen.
Aber jetzt erstmal zur Sachlage.
Wer mit offenen Augen durch Braunschweig geht, wird immer wieder ältere Menschen sehen, die in Papierkörben Pfandflaschen suchen und sich dabei verschämt umsehen. In der Summe sind diese sichtbaren Menschen nur ein Bruchteil der von Altersarmut betroffenen oder von Altersarmut gefährdeten Personen, also sozusagen die Spitze des Eisberges.
Wie macht man aber deutlich, wie groß der Eisberg tatsächlich ist? Wie viele Menschen leben in Braunschweig in Altersarmut oder sind davon gefährdet? Und wie ermöglicht man diesen Menschen „im Eisberg“ den Schritt aus der „Unsichtbarkeit“?
Zur Klärung dieser und anderer Punkte hat das Sozialreferat der Stadt Braunschweig am 22.05.2023 zu einem Netzwerktreffen diverser Institutionen eingeladen, die etwas mit dem Thema „Senioren“ zu tun haben.
AntiRost war als größte Senioreninitiative der Stadt ebenfalls eingeladen und ich habe daran teilgenommen. Neben Vertretern der Stadt waren Angehörige der Sozialverbände, der Nachbarschaftshilfen, des Seniorenrates, der Bürgerstiftung, Pflegeeinrichtungen und viele mehr anwesend. Insgesamt waren über 40 Personen anwesend. Aus diesem Kreis heraus hat sich der Steuerungskreis „Altersarmut“ gebildet, der unter Führung des Sozialreferates das Thema „Altersarmut“ aufbereiten soll. Auch ich gehöre dem Steuerungskreis an.
Am Anfang habe ich mich gefragt, wie es in Braunschweig mit all den verfügbaren Sozial- und Unterstützungsleistungen sein kann, dass das Thema „Altersarmut“ überhaupt eine so große Rolle spielt. Natürlich bin ich nicht so naiv zu glauben, dass es das nicht gäbe, aber noch leben wir in einem Sozialstaat, auch wenn die Löcher im sozialen Netz immer größer werden.
Es ist schmerzlich, auf Altersarmut zu treffen gerade bei den Menschen, die nach dem Krieg dafür gesorgt haben, dass die Stadt wieder lebenswert geworden ist, die Menschen meiner Generation großgezogen haben und deren Verdienst es ist, dass ich mein Leben frei gestalten kann.
Altersarmut beginnt bereits bei Personen ab 65, also in einer viel jüngeren Altersgruppe als bisher von mir angenommen.
Wenn ich mal in Bildern sprechen darf:
Bisher war mein Theatervorhang nur ein Stück aufgezogen und meine Sicht lag auf Menschen 80+, was vielleicht auch meinem Alter geschuldet ist. Nach der Diskussion beim Sozialreferat ist der Vorhang nun komplett aufgegangen und ich kann die ganze Bandbreite der Altersarmut überblicken. Es hat mich ehrlich überrascht, dass es sich dabei auch schon um „meine“ Generation handelt.
Viele von Armut betroffene Personen nehmen keine Unterstützungsleistungen in Anspruch, obwohl sie dazu berechtigt wären.
Dieser Punkt ist eher unverständlich. Es gibt unzählige Angebote, Unterstützungen, Service- und Beratungsleistungen durch die Stadt und durch viele Institutionen, die offen stehen, aber nur durch relativ wenige Betroffene wahrgenommen werden. Aber warum wird das so wenig nachgefragt? Aus welchen Gründen auch immer, aber hier schlägt wohl die „Scheu“ dieser Personen zu (siehe oben). Meine Vermutung: Aus Schamgefühl über die eigene Situation traut man sich nicht, sich zu offenbaren, zieht sich zurück und versucht, irgendwie klar zu kommen. Daraus ergibt sich schon meine nächste Frage: Wie kann man meine Vermutung belegbar machen?
Aus dem Verständnis heraus ist für mich eines klar. Wer von Altersarmut betroffen oder gefährdet ist, verliert über kurz oder lang seine Würde und bekommt ein Stigma. Das wiegt schwer und führt zu Dingen wie Scham und Isolation. Dabei fällt mir sofort Artikel 1, Absatz 1 unseres Grundgesetzes ein: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Und schon habe ich die nächste Frage im Kopf. Wie will man jemals Altersarmut und diesen Artikel deckungsgleich bekommen? Aber dafür gibt es ja den Steuerungskreis, um hier Licht ins Dunkel zu bringen.
Man sieht an dieser Stelle schon, je intensiver man sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr Fragen tauchen auf und desto weniger Antworten und greifbare Fakten gibt es.
Diese sollen nun im Steuerungskreis „Altersarmut“ gesichtet werden. Die Grundfrage dazu ist, wie man sich des Themas nähern kann. Lösungen sind bekanntlich ohne ordentliche Klärung des Sachverhalts in der Regel nichts wert, da sie auf keiner belastbaren Grundlage beruhen. Ich habe mich zunächst im Internet zu drei Fragen „schlau gelesen“.
■ Was ist eigentlich Altersarmut?
■ Ab wann gilt man als armutsgefährdet:
■ Wer ist von Altersarmut betroffen?
Was ist Altersarmut?
Altersarmut bezeichnet die Situation, in der Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um ihren Lebensunterhalt und ihre Bedürfnisse zu decken. Dies kann zur Folge haben, dass sie auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, um ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen. Quelle: sparkasse.de
Ab wann gilt man als armutsgefährdet?
Der Schwellenwert für Armutsgefährdung in Deutschland lag im Jahr 2022 für alleinlebende Personen bei monatlich 1.189 Euro netto. Liegt das Einkommen einer Person darunter, gilt sie als armutsgefährdet. Quelle: statista
GmbH Altersarmut kann viele Aspekte haben, die sich zum Teil bedingen und deren Folgen gravierend für die Betroffenen sind. Meistens assoziiert man Altersarmut nur mit finanzieller Armut, also wenn das Geld zum Leben nicht reicht. Einige Aspekte sind hier beispielhaft aufgeführt.
Finanzielle Armut:
■ die zur Verfügung stehenden Mittel reichen nicht, um den Lebensunterhalt zu sichern.
Soziale Armut:
■ eine Teilnahme am sozialen Leben wie z.B. Kino-, Theater- oder Restaurantbesuche unterbleiben,
■ das Telefon wird abgemeldet,
■ Kontakte im Freundes- und Bekanntenkreis werden reduziert bzw. eingestellt
Bildungsarmut:
■ Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Fernsehen etc. sind wegen fehlender Mittel nicht finanzierbar.
■ Bildungsangebote z.B. der VHS können nicht wahrgenommen werden
„Ernährungsarmut“:
■ Mahlzeiten werden eingespart
■ Lebensmittel werden rationiert, verschlechtern sich und werden einseitiger und ungesünder
■ die Beschaffung günstiger Lebensmittel wird schwerer (containern)
■ der Gang zur Tafel unterbleibt aus Scham
„Gesundheitsarmut“:
■ Hygienemaßnahmen nehmen ab,
■ Arztbesuche werden eingestellt,
■ angemessene und ordentliche Kleidung steht nicht zur Verfügung.
Vermutlich wird es noch mehr Aspekte geben, aber die fünf hier aufgeführten machen schon deutlich, wie sich Altersarmut abbilden kann. Die Beispiele zeigen nicht die Schwere jedes Aspektes, für die Betroffenen können die Aspekte unterschiedlich gewichtet sein. So ist es auch möglich, das betroffene Menschen in einem abbezahlten Eigenheim wohnen, durch eine minimale Rentenleistung aber in Altersarmut leben. Besonders schlimm finde ich den Gedanken, den jeder mal für sich weiterspielen kann, dass Menschen als letzter sozialer Bezugspunkt ein Haustier geblieben ist, dieses erkrankt und die Tierarztkosten nicht bezahlbar sind.
Wer ist von Altersarmut betroffen?
Für viele ältere Menschen in Deutschland ist die Thematik bereits Realität. Laut Statistischem Bundesamt gilt fast jede fünfte Person, die älter ist als 65 Jahre, als armutsgefährdet. Die Daten stammen aus dem Jahr 2022.
Im Vergleich zu 2010 lag die Quote in Deutschland bei Personen 65+ noch bei 12,3 %, im Jahr 2021 lag diese Zahl schon bei 17,4 % und 2022 schon bei 18,3 %. Das zeigt, das in den letzten Jahren die Altersarmut stark angestiegen ist und angesichts der demografischen Veränderungen und einer zunehmenden Rentenlücke weiter an Dynamik gewinnen wird.
Es zeigt sich aber auch, dass Frauen ab 65 in Deutschland von Altersarmut mit 20,3 % stärker betroffen sind als Männer mit 15,9 %.
Die Ursachen für die geschlechtsspezifischen Unterschiede liegen unter anderem darin, dass Frauen insbesondere ab dem 30. Lebensjahr, aber auch noch im höheren Alter, seltener erwerbstätig sind. Dadurch erwerben sie geringere Rentenansprüche beziehungsweise haben sie seltener ein (zusätzliches) Einkommen aus Erwerbstätigkeit in den späteren Lebensjahren. Erziehungszeiten oder Teilzeitarbeit spielen ebenfalls wichtige Rollen.
Eine andere Sichtweise ist die auf die gefährdeten Gruppen, unabhängig vom Geschlecht. Die folgenden Beispiele zeigen das beispielhaft.
Geringverdiener:
■ Versicherte mit kurzen Versicherungszeiten (z.B. Hausfrauen)
■ Wenige Entgeltpunkte auch bei langjähriger Erwerbstätigkeit,
■ Leiharbeiter, Mini-Jobber
Erwerbsgeminderte:
■ Verkürzte Erwerbszeit,
■ Abschläge bei Rentenbeginn vor rechnerischer Altersgrenze
Langzeitarbeitslose:
■ Keine/nicht ausreichende Bildung,
■ keine Einzahlungen in Versicherung,
■ Lücken im Lebenslauf,
■ Arbeitslosenhilfe,
■ geringe Rentenbeiträge
(Solo)-Selbstständige:
■ keine Aufträge, kein Sparen möglich,
■ oft Wechsel zwischen Anstellung und Selbstständigkeit,
■ oft geringes versicherte Einkommen
Alleinerziehende:
■ Kaum Möglichkeit für Vollzeit-Arbeit,
■ Niedrige Löhne und Gehälter,
■ befristete Arbeit
Treten diese Faktoren in jungen Jahren ein, denken Menschen meist noch nicht an diese Folgen. Bei den bereits Betroffenen sind die Folgen durch die Altersarmut greifbar, aber sie können oft schon nicht mehr gegensteuern. So wächst z.B. eine alleinerziehende Kassiererin mit einem geringen Gehalt quasi in die Altersarmut hinein, weil ihre Rente später vermutlich nicht ausreichen wird. Altersarmut ist keine plötzliche Erscheinung, sondern über Jahre gewachsen und sie wird in den kommenden Jahren – auch durch die o.a. Faktoren – noch stärker wachsen.
Und wie sieht es in Braunschweig aus?
Leider liegen belastbare Zahlen für Braunschweig in der oben dargestellten Form nicht vor. Um es annähernd einzukreisen, haben wir im Steuerungskreis die Werte der Grundsicherung und des Bürgergeldes der Stadt herangezogen. Der Nachteil ist, dass diese Statistiken nur die Personen aufführen, die die Unterstützung beantragt haben. Die Personen, um die es uns im Steuerungskreis geht, werden nicht erfasst, da sie nicht unterstützt werden. Es gibt also kein gesamtheitliches Bild. Hier gilt es jetzt über den Steuerungskreis nachzuarbeiten.
Wie nähert man sich konzeptionell diesem Thema?
Neben einer notwendigen Geschäftsordnung haben wir im Steuerungskreis Leitlinien entwickelt, die als Grundlage für das zu erstellende Handlungskonzept dienen sollen. Die Leitlinien stellen die jeweiligen maximalen Anforderungen dar, für die es im weiteren Verlauf der Arbeiten gilt, sich so weit wie möglich daran anzunähern. Die Leitlinien liegen bereits der Stadt vor und müssen dort nun verifiziert werden.
Ein weiterer Punkt ist, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Was weiß die Bevölkerung über Altersarmut? Dazu gab es zum Tag der Senioren einen eigenen Informationsstand, um in Gesprächen und mittels einer Fragebogenaktion das Thema den Interessierten näher zu bringen.
Die Antworten werden derzeit durch das Sozialreferat ausgewertet und bilden dann einen weiteren Baustein für das Handlungskonzept.
Zusätzlich waren wir zur Vorstellung des Steuerungskreises und des Themas am 27.11.2024 bei Radio Okerwelle und konnten dort unsere Ziele und unsere Arbeit erläutern.
Alles läuft in einem ersten Schritt darauf hinaus, das Thema „Altersarmut“ in der Stadt bewusst zu machen. Ja, in Braunschweig gibt es Altersarmut, die sich offen zeigt oder versteckt vorhanden ist.
In einem weiteren Schritt ist es notwendig, Altersarmut zu „entschmuddeln“. 20% der Bevölkerung über 65 ist altersarmutsgefährdet. Das ist also kein Thema mehr. Das ist also kein Thema mehr, über das man nur hinter vorgehaltener Hand sprechen kann und darf. Das ist harte Realität und man muss damit umgehen bzw. lernen, damit umzugehen.
Weiterhin muss man die Unterstützungsangebote und die Betroffenen zueinander bringen. Die Anonymität muss fallen, es darf keine Scham vorherrschen, wenn man in die Lage kommt, Unterstützungsleistungen zu benötigen.
Und sicherlich wird es noch mehr geben, was man tun kann, z.B. wenn es um die Finanzierung der Maßnahmen gehen wird. Der Steuerungskreis wird sich in 2025 und vermutlich auch in 2026 weiter damit beschäftigen und an dieser Stelle wird es sicher eine Fortsetzung geben.
Text: Dietmar Scholz, Vorsitzender AntiRost Braunschweig e.V.
Aus: „Zahnrad“, Zeitschrift AntiRost, Ausgabe 23/2025, Seite 8 ff